Blutegel beim Pferd - Therapie mit Freude und Frust

"Arbeitest du eigentlich auch mit Blut­egeln?"

Diese Frage bekomme ich immer mal wieder von meinen Kunden gestellt. Grund­sätzlich würde ich sie gerne mit ‚ja‘ beantworten, denn Blut­egel sind fantastische Helfer­lein bei Ent­zündungen, Arthrose, Sehnen­problemen, Blut­ergüssen/Prell­ungen, Lymph­störungen und, und, und. Sie können ein zusätzlicher Bau­stein in der Therapie sein und wirklich etwas bewirken.

Du hörst schon das "aber"?

Ja, stimmt. Da ist ein "aber", mehrere sogar. Diese "aber" sind der Grund dafür, warum meine Antwort auf die Frage, ob ich mit Blut­egeln arbeite, inzwischen auch zu einem "nein" geworden ist.

Ich kenne zwei Arten von Therapeuten, die nicht (mehr) mit Blut­egeln arbeiten.

Die erste Kategorie sind diejenigen Therapeuten, die Blut­egel einfach eklig finden – schleimig, glipschig und einfach "bah". Als Biologin habe ich in meinem Studium so einige Tiere vor mir gehabt, die in diese Kategorie fielen. Den Blut­egeln gegen­über hatte ich eher eine professionelle Neugier und Anerkennung.

Ich falle eher in die zweite Kategorie, warum man nicht mit Blut­egeln arbeitet. Hierzu gehören die­jenigen Therapeuten, die eine gewisse Hass­liebe zu den kleinen Biestern entwickelt haben.

Wieso?

Wie schon gesagt sind Blut­egel tolle Helfer­lein und können bei diversen Erkrankungen eingesetzt werden. Sie beißen sich fest und nehmen Blut vom Tier auf, während sie Speichel in die Wunde abgeben.

Im Speichel ist eine regel­rechte Apotheke von unter­schiedlichen Wirk­stoffen zu finden. Es sind vermutlich mehr als 100 aktive Substanzen enthalten. Dazu gehören Gerinnungs­hemmer (damit das Blut besser fließt und die Wunde sauber gespült wird), Entzündungs­hemmer und anti­mikrobielle Wirk­stoffe.

Der Speichel wirkt also lokal entzündungs- und gerinnungs­hemmend und der venöse- und lymphatische Abfluss werden angeregt, was wiederum die Durch­blutung fördert, Schmerzen, Entzündungen und Schwellungen lindert.

Ganz schön gut, oder?

Und jetzt kommen wir zum "aber".

Um das alles tun zu können, müssen Blut­egel auch anbeißen. Ohne das geht’s nun mal nicht. Und hier liegt die Krux: Blut­egel sind absolute Diven.

Meh – zu warm.

Uh – zu kalt.

Ihh – Gewitterluft.

Oder auch einfach nur: Nö – keine Lust.

Ob Wetter­lagen oder Pferde, die nicht schmecken, Egel finden (fast) immer einen Grund. Da kommt man als Therapeut freude­strahlend mit den kleinen Helfer­lein auf den Hof, rasiert Fell weg, damit die Haut auch gut erreich­bar ist, und trotzdem zieren sich die Egel ganz häufig und beißen nicht.

Und wenn der Besitzer gerade noch mit Cremes und Salben gearbeitet hat (oder ein Medikament verabreicht wurde), dann braucht man die Egel gar nicht erst aus dem Auto zu holen, denn sie sind Fein­schmecker.

Auf das Pferd los­gelassen, kann man meiner Erfahrung nach vier Egel-Typen auseinander­halten:

Der Hungrige – oder auch: der Therapeuten-Liebling

Dieser Vertreter ist der absolute Liebling jedes Therapeuten. Er fackelt nicht lange, kriecht ziel­strebig zur richtigen Stelle und beißt zu.

Dieser Vertreter hat Hunger und saugt beständig Blut auf, bis er irgend­wann satt ist. Dann lässt er los und fällt ab. Das kann zwar auch mal dauern (je nach Hunger und Aufnahme­kapazität), aber generell sieht man bei diesem Egel-Typ einen beständigen Fort­schritt.

Das sind die Egel, mit denen man gerne arbeitet (und von denen man gerne mehr hätte).

Der Schummler – oder auch: der kurz­weilige Liebling wird zum Frust­objekt

Dieser Egel-Typ verhält sich zu Beginn sehr ähnlich wie "Der Hungrige".

Er scheint interessiert am all-you-can-eat-Buffet, das ihm kredenzt wird, und sucht nach der richtigen Stelle, um anzubeißen.

Aber dann… Irgendwann wandelt sich dieser beständig saugende Therapeuten-Liebling zum Frust­objekt und schläft am Pferd ein. Jegliche Saug­tätigkeit wird eingestellt und er hängt einfach nur so rum.

Vorsichtige und freundliche Streichel­einheiten durch den Therapeuten, gemischt mit gutem Zureden haben ungefähr eine 50:50 Chance, den Egel zurück in die Spur zu bringen.

Dieser Egel-Typ kann einen Therapeuten schier zur Weiß­glut bringen und er ist meistens leider auch sehr aus­dauernd in seinem Schlaf­verhalten.

Der Unentschlossene – oder auch: Vielleicht findet er ja noch die richtige Stelle?

Der Unent­schlossene ist auch nicht gerade ein Favorit. Dieser Egel-Typ nutzt seine Freiheiten aus, soweit er kann.

Wenn der Therapeut ihn mit einer abgeschnittenen Spritze anzusetzen versucht, verwandelt er sich oft schnell in Egel-Typ 4.

Sollte ihm die Freiheit gewährt werden selbst nach einer passenden Stelle zum Beißen zu suchen – z.B. kann am Pferde­bein mittels eines Strumpfes oder einer Tüte das "Ziel­gebiet" abgesteckt werden, indem die Egel sich frei bewegen und nach der besten Stelle suchen können – so kriecht er herum und herum… und herum.

Er scheint zu suchen und macht dem Therapeuten Hoffnung, dass er am Fressen interessiert ist, aber einfach nur noch nicht das richtige Plätzchen gefunden hat, um sich an den gedeckten Tisch zu setzen.

Manchmal lässt er sich dann auf den Patienten ein und wird zu Egel-Typ 1. Sehr oft jedoch vergisst er allerdings in der Zwischenzeit seinen Auftrag und macht es sich statt­dessen gemütlich. Er wird dann zu Egel-Typ 4.

Die Schlafmütze – oder auch: Verdammt noch mal, du musst doch Hunger haben!

Dieser letzte Egel-Typ ist einer­seits frustrierend für den Therapeuten, anderer­seits macht er seinen Stand­punkt meist recht schnell klar.

Egal, ob dieser Egel hungrig von der Egel-Farm kommt oder nicht, er sieht keinen Sinn im Fressen. Er rollt sich ein und schläft (und zeigt dem Therapeuten metaphorisch dabei den Stinke­finger). Hier hilft kein gutes Zureden oder Antippen, um den Egel wieder aufzuwecken.

Ich habe bereits alle vier Egel-Typen erlebt und diverse frustrierende Stunden am Patienten gestanden, mit Egeln, die schlafender­weise im Streik waren. Auch wenn dies nichts ist, was man als Therapeut beeinflussen kann, so ist es doch ziemlich unangenehm, vor einem Besitzer zu stehen und verlegen mit den Schultern zu zucken, wenn die Egel nicht beißen.

Auch ist es oft unbefriedigend, wenn ein oder zwei Egel beißen, ich aber bei dem vorliegenden Krankheits­bild eher vier Egel bräuchte, um das betroffene Areal therapeutisch sinn­voll abzudecken. Ein Egel hat ja nur ein bestimmtes Gebiet, wo die Stoffe, die in seinem Speichel drin sind, hingelangen können.

Ein weiterer Punkt ist, dass es für mich als Therapeut unglaublich schwer ist, meinen Tag zu planen, wenn ich nicht weiß, ob meine Egel heute eher vom Typ 1 oder Typ 4 sind. Entweder entstehen Lücken in meinem Plan, wenn alles glatt geht, oder auf einmal wird alles eng und immer enger, wenn ich nicht vom Patienten weg­komme.

All dies sind Faktoren, die mich inzwischen dazu gebracht haben, nicht mehr mit Blut­egeln zu arbeiten. Ich bewundere die Therapeuten, die die Ruhe und Gelassenheit haben (oder auch die richtige Beziehung zu den kleinen Kerlchen, um ihnen gut zuzureden), aber mein Ding ist es einfach nicht, egal wie gut sie therapeutisch helfen können (wenn sie denn wollen).