Eindecken, Ausdecken, Umdecken – wie viel Decke braucht dein Pferd?

Es ist Frühling und langsam wird es warm. Wir freuen uns auf die Wonnemonate und begrüßen die ersten Pflanzen, die ihre Blüten der Sonne entgegenstrecken.
In den WhatsApp-Gruppen vieler Pensionsställe taucht jetzt allerdings auch immer öfter eine bestimmte Nachricht auf: „Ist zufällig jemand im Stall und kann mein Pferd ausdecken?“
Oder es werden Absprachen getroffen: „Ich bin morgen Mittag da und kann unsere Beiden ausdecken. Wenn du abends kommst, kannst du dann mein Pferd wieder mit eindecken?“
Auch abends auf der Stallgasse drehen sich die Gespräche um das Decken-Thema: „Wie kalt wird es heute Nacht?“ oder auch „Womit deckst du heute ein?“.
Mit den Tag/Nacht-Temperaturschwankungen und den zunehmend steigenden Temperaturen wird es immer schwieriger die richtige Decke zu finden. Teilweise verändern sich die Temperaturen um 15 oder 20 Grad innerhalb weniger Stunden – von knapp über Null in der Nacht bis auf 17 Grad oder mehr in der Sonne.
Wir Menschen ziehen eine Schicht weniger an oder der Fleece-Pulli wird gegen eine dünnere Sweatjacke ausgetauscht. Gleichzeitig tragen viele Pferde noch Unterdecke und Halsteil, denn nachts ist es ja noch sehr kalt (aus Menschensicht jedenfalls).
Dabei sind Pferde deutlich kälteunempfindlicher als wir Menschen. Im Laufe der Evolution haben sie eine ausgeklügelte Thermoregulation (also die Unabhängigkeit der Körpertemperatur von der Umgebungstemperatur) entwickelt, die sie gut vor Kälte schützt.
Noch heute kommen die verbleibenden Wildpferde mit widrigen Wetterbedingungen wie Wind, Regen und kalten Temperaturen zurecht – und das ganz ohne Decken.
Eindecken generell betrachtet
Das Auflegen von Decken stellt einen Eingriff in die Thermoregulationsmechanismen des Pferdes dar. Ähnlich wie bei anderen strittigen Themen im Reitsport, gibt es strikte Gegner und solche, die Eindecken befürworten.
Aus meiner Sicht ist es immer eine Einzelfallentscheidung. Nicht jedes Pferd braucht eine Decke. Vielfach herrscht allerdings heutzutage (speziell auf großen Reitanlagen) ein ziemlicher Gruppenzwang was das Eindecken angeht. Es ist oft schwierig, sich diesem Gruppenzwang zu entziehen und sich dabei nicht ständig selbst als Tierquäler zu betrachten, wenn alle anderen Pferde in kuschelige Decken eingehüllt werden.
Natürlich kann Eindecken sinnvoll oder sogar notwendig sein:
- Erkrankte Pferde mit Fieber haben ein erhöhtes Wärmebedürfnis.
- Ältere Pferde haben oft Schwierigkeiten, durch den Winter zu kommen. Ihr Stoffwechsel funktioniert oft nur noch eingeschränkt und sie wirken ausgezehrt. Hier kann eine Decke Sinn machen.
- Pferden, die mit einer anderen Erkrankung kämpfen, kann mit einer Decke geholfen werden.
- Oder natürlich benötigen Pferde, die geschoren sind, eine Decke.

Ansonsten sollte man sich das Eindecken gut überlegen.
Jedes Pferd ist anders und es gibt Pferde, die ohne Decke nicht gut zurechtkommen. Pferde sind von Natur aus gegenüber solchen Einflüssen grundsätzlich jedoch ziemlich unempfindlich.
Die Notwendigkeit einer Decke
Im Vergleich zur langjährigen Evolution des Pferdes gibt es die Reitsportindustrie mit ihren Decken in dieser Ausprägung (von Stalldecke, Unterdecke, Regendecke bis hin zu mehreren hundert Gramm, mit Halsteil oder ohne, Highneck oder nicht,… von Farben und Mustern wollen wir gar nicht erst anfangen) erst seit wenigen Jahren, doch man bekommt inzwischen oft den Eindruck, dass Pferde ohne Decken nicht (mehr) existieren können.
Aber stimmt das überhaupt?
Insgesamt vertragen Pferde Kälte besser als Hitze. Ein gesundes, ungeschorenes Pferd benötigt in den meisten Fällen keine Decke. Die Wohlfühltemperatur eines Pferdes liegt zwischen 5 und 25 Grad. Der thermoneutrale Bereich sogar bei -15 bis +25 Grad. Das heißt, in diesem Bereich muss der Körper keine zusätzliche Arbeit leisten, um zu Heizen oder zu Kühlen.
Noch einmal: ein Pferd fühlt sich zwischen 5 und 25 Grad wohl! Und es muss keine zusätzliche Energie zum Heizen investieren, bevor die Temperaturen nicht weit, weit, weit unter dem Gefrierpunkt liegen.
Eindecken, Ausdecken, Umdecken – was tun in der Übergangszeit?
Trotzdem stehen nicht selten Pferde bei etwa 10 Grad Außentemperatur noch mit Halsteil, Unterdecke oder 150 Gramm Decken auf ihren Paddocks.
Na ja, dann ist es halt ein bisschen zu warm. Lieber kuschelig warm als zu kalt, oder?
Leider nein.

Pferde kommen, wie bereits geschrieben, mit Kälte besser klar als mit Hitze. Gerade tagsüber mit Sonneneinstrahlung können Pferde schnell unter den Decken anfangen zu schwitzen. Ich habe schon das eine oder andere Pferd erlebt, das quasi aus dem Kragen dampfte.
Normalerweise ist ein Pferd in der Lage, die eigene Körpertemperatur – z.B. durch Schwitzen – zu regulieren. Unter einer Decke ist dies jedoch nur bedingt möglich. Die Hitze steht unter der Decke. Dies wiederum kann zu Kreislaufproblemen führen, die sich nicht selten auch als Koliken darstellen und eine tierärztliche Behandlung erforderlich machen (ganz oft werden die Beschwerden vom Besitzer als Koliken gedeutet, aber nicht als Kreislaufprobleme erkannt).
Neben diesen Beschwerden kann ein vermehrtes Schwitzen unter der Decke auch die Infektanfälligkeit steigern, wenn das Pferd im Anschluss an das Schwitzen auskühlt. Dadurch kann es schneller zu Hustenerkrankungen kommen.
Unser gut gemeintes Eindecken kann also durchaus einen negativen Effekt auf die Gesundheit der Pferde haben. Gerade in der Übergangszeit mit schnell und stark wechselnden Temperaturen sollte man sich gut überlegen, wie viel Decke wirklich nottut. Selbst Pferde, die für den Winter geschoren wurden, haben im Frühjahr genug Fell nachgeschoben, dass sie so schnell nicht frieren, auch wenn die Fellschicht vielleicht nicht ganz so dick ist wie bei einem ungeschorenen Pferd.
Hier liegt es am Besitzer, Zutrauen in den Pferdekörper zu entwickeln und die Decke vielleicht auch mal früher abzunehmen, als man die eigene Kleidungsschicht weglässt.
Und bei dir so?
Ok, viele schöne Worte, aber jetzt heißt es: ‚Farbe bekennen‘. Wie halte ich es mit Decken?
Ich habe in meiner Karriere als Pferdebesitzer schon einige Stadien durch von „Meine Iberer-Stute braucht eine Decke, sonst friert sie!“ bis hin zu „Echt? Ist das notwendig?“. Und ja, meine Stute hat auch schon mal 400 Gramm auf dem Rücken gehabt.
Schlussendlich war es meine Stute, die mich davon überzeugt hat, es mit weniger und weniger zu versuchen. Sie hasst Decken. Sie erträgt sie, aber sie ist nicht der Meinung, dass sie nötig sind. Und das tat sie kund mit ganz demonstrativ genervtem Gesichtsausdruck und frustriertem Augenrollen. Also wagte ich mich irgendwann an den Versuch, sie im Winter nicht mehr einzudecken.
Anfangs habe ich sie täglich mit Argusaugen beäugt und die Hand an der Decke gehabt, um den Versuch abzubrechen, aber mit der Zeit (und dem immer noch nicht über uns hereingebrochenen Erfrierungstod – und trotz dem so verlockenden Gruppenzwang, es wie alle anderen zu machen) wurde ich entspannter.
Seit nunmehr 3 Jahren steht meine kleine Portugiesin im Winter ohne Decke da. Ich decke sie ausschließlich ein, wenn es den ganzen Tag über durchregnet. Auch an solchen Tagen kommt die Decke runter, sobald sie in der Box ist. Über die letzten drei Jahre bin ich wie schon geschrieben deutlich entspannter geworden, was äußere Einflüsse angeht. Ein bisschen Nieselregen für ein oder zwei Stunden bei 6 Grad hält sie auch ohne Decke aus – das hätte ich im ersten Winter nicht gewagt.
Wir haben damit für uns eine gute Balance gefunden, auch wenn sie immer noch mit den Augen rollt, wenn Mutti es dann doch mal gut meint und unsere Vorstellungen von der Notwendigkeit des Eindeckens bei gewissen Wettereinflüssen auseinander gehen. Zugegebener Weise bin ich allerdings auch in der komfortablen Position, an den meisten Tagen früh morgens vor dem Rausbringen im Stall zu sein, und somit bei widrigen Bedingungen eingreifen (bzw. eindecken) zu können. Das ist sicherlich nicht jedem Berufstätigen möglich – aber auch dafür lassen sich im Stall oft Absprachen finden.

Wie gesagt, auch ich habe nicht von einem auf den anderen Tag die Decke weggelassen, sondern mich langsam vorgewagt.
Probiere doch auch mal aus, wie viel (oder wenig) Decke dein Pferd wirklich benötigt. Taste dich langsam an das Thema heran und decke im Herbst etwas später ein, als du es eigentlich tun würdest und im Frühjahr etwas früher wieder aus als sonst.
Ich wünsche dir viel Spaß beim Ausprobieren.
Du bist neugierig geworden?
Dann trage dich gerne in meinen E-Mail-Verteiler ein, um informiert zu werden, wenn ich neue Artikel online stelle. Mein Newsletter enthält auch Informationen zu meinen Onlinekursen.