Punkt für Punkt zum Behandlungskonzept

Behandlungskonzepte in der Pferdeakupunktur

In diesem Artikel geht es um eine weitere Frage, die mir oft von Pferde­besitzern gestellt wird: Wie findest du die richtigen Punkte für die Akupunktur­behandlung?

Zunächst einmal: das mit "richtig" und "falsch" in Bezug auf die Punkte­auswahl ist in der Akupunktur so eine Sache.

Fünf Akupunktur­therapeuten werden mit fünf unter­schiedlichen Behandlungs­konzepten arbeiten und unter­schiedliche Akupunktur­punkte verwenden. Das heißt aber nicht, dass dabei vier falsche und ein richtiges Konzept im Spiel sind!

Bei der Auswahl der Akupunktur­punkte und dem Behandlungs­konzept spielt die Erfahrung genauso eine Rolle wie die Verwendung unter­schiedlicher Ansätze aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und die Präferenz mit bestimmten Punkten zu arbeiten.

Ich kenne Therapeuten, die sehr strikt nach verschiedenen Ansatz­punkten der TCM arbeiten, sei es das System der Fünf Elemente, ein starkes Augen­merk auf die pathogenen Faktoren oder den Fülle- und Leere-Mustern der Meridiane, oder, oder, oder. Und keiner dieser Therapeuten hat mehr oder weniger Recht mit dem, was er tut.

Keine starren Konzepte

Die viel­fältigen Ansätze und Einsatz­möglichkeiten lässt die TCM – gerade für noch uner­fahrene Akupunkteure – oft ein­schüchternd wirken. Bevor ich mich mit der Akupunktur selbst­ständig gemacht habe, habe ich ein Biologie­studium mit einer Spezialisierung auf molekulare Biologie und Biotechnologie absolviert. Im Labor gibt es meist strikte Rezepte: nutze 1 ml von Stoff A, gib je 0,5 ml von Stoff B und C hinzu. Erhitze die Probe für 5 Minuten auf 94 °C und stelle sie dann direkt auf Eis.

Wenn man an den Rezepten was verändert, hat das Konsequenzen – oft die Zerstörung der Probe.

Ich kam gut mit solchen starren "Koch­rezepten" klar. Die Freiheit der Akupunktur war ich überhaupt nicht gewöhnt und dieses einschüchternd große Gebiet hat mich am Anfang wirklich gestresst. Konnte mir nicht jemand ein klares Konzept geben? Im Sinne von: so funktioniert’s und fertig.

Ich habe zu Beginn meiner Tätigkeit sehr viel mit dem System der Fünf Elemente gearbeitet. Dieses System machte für mich sehr viel Sinn und war über­schau­bar. Ich arbeite auch heute noch sehr gerne mit den Fünf Elementen, denn ich habe tolle Erfolge mit diesem System erzielen können.

Inzwischen habe ich mich jedoch von diesem einen System gelöst. Was mich am Anfang über­forderte, ist nun mit viel Freiheit verbunden, die ich in meiner Behandlung aus­nutzen kann. Ich reagiere auf das, was ich sehe und fühle und ich bin nicht ein­geengt in dem, was ich tue und wie ich dem Pferd helfen kann. Das schafft viel Freiheit bei der Behandlung eines Individuums.

Trotzdem akupunktiere ich natürlich nicht "ins Blaue" hinein.

Wichtige Wegweiser

Wichtigste Wegweiser für die Erstellung eines Behandlungs­konzeptes und der Auswahl der Akupunktur­punkte sind für mich:

  • die Erzählung des Besitzers
  • die Diagnostik, die ich vor jeder Behandlung durch­führe
  • die Reaktion des Pferdes
  • meine Erfahrung

Schon die Informationen, die mir der Besitzer vor der Behandlung gibt, liefern wertvolle Hinweise auf aktuelle oder bereits länger bestehende Probleme des Pferdes. Daraus formt sich bereits eine erste Idee, wo Schwierigkeiten bestehen könnten und welche Meridian­systeme vielleicht aus der Balance geraten sind.

Was mir das Pferd erzählt, ist genauso wichtig, wie die Informationen vom Besitzer. Denn die Geschichte des Pferdes kann auch mal ganz anders sein und andere Probleme in den Vorder­grund stellen, als der Besitzer das tut. Das macht die Behandlung manch­mal auch schwierig, denn der Besitzer hat mich ja für ein bestimmtes Problem geholt, dass ich behandeln soll, während das Pferd mich vielleicht für etwas anderes braucht.

Jedes Pferd gibt mir Informationen während der Diagnostik. In der Befundung erfasse ich über 250 spezielle diagnostische Punkte, die auf körperliche – aber auch emotionale – Probleme hin­deuten können. So mache mir ein Bild z.B. über die Muskel­spannung, Gewebs­zustände und Reaktionen des Pferdes auf die diagnostischen Griffe.

Ich erfahre also während der Diagnostik eine ganze Menge über den (Gemüts-) Zustand des Pferdes. Aus all diesen Ein­drücken, auf­fälligen diagnostischen Punkten und Reaktionen entwickle ich eine Idee, was ich mit der Behandlung anregen möchte. Ziel dabei ist es natürlich immer den Energie­fluss im Körper zu harmonisieren, denn funktionieren alle Energie­flüsse, ist ein Lebewesen gesund.

Zuhören und flexibel bleiben

Doch auch dieses vor der Behandlung erstellte Konzept ist nicht starr. Es ist viel mehr ein Dialog, der zwischen mir und dem Pferd statt­findet. Während der Behandlung erhalte ich vom Pferd oft weitere Reaktionen, die es erforderlich machen, das Konzept zu erweitern oder auch mal Punkte heraus­zustreichen. Und hier kommt meine langjährige Erfahrung ins Spiel.

Nicht selten setze ich Punkte, an die ich zu Beginn der Behandlung nicht gedacht hatte – entweder, weil es keine Veranlassung dafür gab, weil sie "nicht passten" oder aus welchen Gründen auch immer. Im Laufe der Behandlung wirke ich aber natürlich auf das Pferd ein. Die stimulierten Akupunktur­punkte fangen an zu wirken und geben oft den Blick frei auf weitere Probleme oder versteckte Ursachen. Ich vergleiche das gerne mit einem Eis­berg. Wir sehen anfangs nur die Spitze, die über die Wasser­oberfläche hinaus­schaut. Mit der Behandlung wird oft der Blick frei gemacht für eine Ebene, die bisher unter der Wasser­ober­fläche verborgen lag.

Wenn es das Pferd zulässt, nehme ich die neuen Aspekte noch an dem Tag mit in die Behandlung auf. Manchmal kann dies jedoch auch zu viel werden. Die Akupunktur wirkt körperlich und emotional und nicht immer darf ich – gerade vorher versteckte – Probleme direkt angehen.

Hier gilt es, die Grenzen des Pferdes wahr­zunehmen und zu respektieren!

Aus all diesen Gründen ist die Auswahl der "richtigen" Akupunktur­punkte bei mir immer fließend und nicht starr. Ich verfolge eine Grund­idee, aber die Umsetzung dieser Idee wird von vielen Dingen beeinflusst.

Genau die Behandlungs­freiheit, die mir anfangs also Schwierigkeiten gemacht hat, habe ich inzwischen zu schätzen gelernt, denn sie lässt mich flexibler auf meine Patienten reagieren.

Weitere Informationen zur Akupunktur-Behandlung findest du im Ratgeber Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) beim Pferd.